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Digital Natives, die nach dem Weg fragen müssen

Digital Natives

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Wenn ich erwähne, dass ich für eine Informatikschule arbeite und die Berufliche Grundbildung betreue, höre ich normalerweise Kommentare von der Art: „Ja, also viel musst du sicher nicht machen, die können ja eh Informatik“. Denn Schulabgänger von heute sind ja Digital Natives und mit PCs und Internet aufgewachsen.

Nicht wirklich. Es stimmt natürlich, dass diese Generation sich eine Welt ohne Google schwer vorstellen kann und völlig überfordert ist, wenn sie einen guten alten Knochen wie ein Nokia 3310 bedienen sollte, denn der hat ja keinen Touchscreen.

Nein, ich behaupte, dass sie sogar noch weniger an Vorkenntnissen mitbringen als meine Generation. Heute sind ICT-Geräte und -Dienste einfach da. Und sie funktionieren fast immer und fast immer reibungslos. Noch mehr Geräte und Dienste sind sogar so gebaut, dass man nur mit allergrösster Mühe herausfinden kann, was in ihrem Inneren geschieht und wie es geschieht. 


Die ersten Computer

Mein erster Computer war der Sinclair ZX80. Das Gehäuse liess sich mit wenigen Handgriffen öffnen und zerlegen, die Komponenten waren so gross und rudimentär, dass es sehr einfach war sie zu identifizieren und zu erkennen, wie sie miteinander verbunden waren. Bei späteren Computern konnte man sogar spüren, wenn die Disketten Dateien gelesen und geschrieben hatten. Und wenn ich ein Farbbild wollte, baute ich die alte Hercules Karte aus und schob eine VGA Karte rein (später hat das Budget sogar für eine Super-VGA Karte gereicht!).
Oh wie habe ich gekämpft um einen Treiber für den neuen Drucker installieren zu können! Da musste man wirklich „Read The Fine Manual“, weil es keine Option war, schnell ein YouTube Video anzuschauen. Fehlte die Installationsdiskette (Einzahl!), musste man auf Hilfe und Verständnis des lokalen PC-Shops hoffen oder den Freundeskreis mobilisieren.

Dann kam Plug&Play oder Plug&Pray, wie wir es anfangs genannt haben. Und nach (vielen) Anfangsschwierigkeiten wurde es wirklich einfach: zwei Geräte miteinander über USB verbinden, warten bis die notwendigen Dateien heruntergeladen werden, und ich kann Drucken! Zwar habe ich jetzt den Drucker zwei Mal mit verschiedenen Namen in meinem Netz, und der Treiber ist fast 200 MB gross, was ich nicht ganz verstehe. Der sollte nämlich nur Drucken und Scannen und nicht auch Kaffee machen und die Wohnung staubsaugen. Wenn ich denke, dass ich auf dem ZX80 ein Schachprogramm hatte, welches in 0.001 MB Platz hatte…

Damit kam dann auch diese schleichende „Black Box“-Situation: Wir kaufen ein Gerät, schalten es ein und erwarten, dass es mit ein paar Klicks und zuwarten (bis die Balken auf dem Bildschirm 100% erreicht haben) dann getan ist. Meistens ist es auch so.
Nur was, wenn nicht? Meinen Desktop PC kann ich noch öffnen und zerlegen und etwas mehr RAM einbauen oder die Festplatte ersetzen… Weil ich weiss wie alles aufgebaut und zusammengeschraubt ist. Aber bei meinem Smartphone wird es schwieriger, schon von der Komponentengrösse her. Bei meinem vorherigen Handy habe ich es noch geschafft, aber ich bezweifle etwas Ähnliches mit meinem jetzigen Modell machen zu können. Es ist nicht einmal von der fruchtigen Marke, die sich wirklich Mühe gibt, spezielle Schrauben und Unmengen an Klebern zu verwenden, um das Öffnen des Gehäuses grundsätzlich zu verunmöglichen. 

Hardware und Software

Hardware ist nur das eine. Software wird auch mehr und mehr zum unergründlichen Begleiter in unserem Alltag. Die Software auf meinem smarten Fernseher ist langsam und dumm, aber ich habe keine Möglichkeit sie zu aktualisieren. Und wenn etwas aktualisiert wird kann es durchaus sein, dass etwas ganz anders ist bzw. funktioniert als vorher. Vielleicht besser, gleichzeitig auch schlechter (die neuste Version von Outlook bspw. erlaubt nicht mehr ein Mail auf einen Tag im Kalender zu ziehen, um einen Termin/eine Aufgabe zu definieren. Microsoft dixit.)

Es ist ein ähnlich wie mit unseren Autos: Früher machte man die Motorhaube auf und konnte relativ schnell sehen, ob etwas locker sass oder defekt aussah. Heute… naja, mein Garagist muss zuerst einen Computer andocken, um mein Auto nach dessen Problem zu fragen. Brannte im alten Simca (meiner Eltern) eine Glühbirne nicht mehr, war das zwar ärgerlich, doch ein Schraubenzieher und ein paar Franken genügten um die Birne in 10 Minuten zu ersetzen. Zum Ersetzen eines LED- Schweinwerfers müssen heute möglicherweise Teile von Motor und Karosserie zuerst mit Kran und Spezialwerkzeug abmontiert werden, wobei diese Kosten einem 5-Gänger für 2 Personen in einem gehobenen Restaurant entsprechen. Dafür schalten sich die Leuchten selbst ein und aus und können zudem als Szenenbeleuchtung für z.B. ein“ AC/DC“-Konzert verwendet werden. 

Dieses Gefühl für Zusammenhänge und die Vorstellung davon wie etwas funktioniert bekommt man nicht nur durch dessen Allgegenwärtigkeit in unserem Alltag. Das ist grundsätzlich kein Problem. Ich muss die Wirkungsweise von Antibiotika nicht im Detail kennen um sie einnehmen zu können, oder die Bedeutung der Strichcodes beim Einkaufen kennen. Internet, WLAN, PC, Tablet, Android - alles ist da, alles funktioniert schon recht gut… Falls nicht schaue ich eben ob ein anderes Gerät oder Dienst das tut wie oder was ich will.  

Ausblick

Ich schätze mich glücklich, dass ich in einer Zeit aufgewachsen bin in welcher IT gerade angefangen hat sich zu verbreiten. Es war einfacher, langsamer, nachvollziehbarer, und ich musste mich selbst ausbilden. Heute sind die Möglichkeiten immens, die Komplexität auch. 

Durch viel Autofahrpraxis werde ich kein Mechaniker. Ähnlich verhält es sich mit ICT. Darum haben Bildungsinstitutionen wie die WISS noch viel zu tun. Digital Natives wissen sehr gut Bescheid über die Anwendung solcher Geräte. Das Warum, das Wie, das Wozu und das Weshalb, das muss man zuerst lernen. 

Kürzlich haben bei der WISS neue Lehrgänge zu Informatiker/in und ICT-Fachmann/-frau EFZ angefangen. Die Teilnehmenden, Digital Natives, haben einiges zu Lernen, und sie sind hungrig danach. Ich freue mich sie zu begleiten und mit ihnen mein Interesse und die Begeisterung für die Informatik zu teilen. Ich bin überzeugt, dass sie ihre Ziele erreichen und den Alltag für uns alle leichter und bequemer machen werden.

Und ich verspreche weniger darüber zu klagen, dass früher alles besser war - zumindest bis zum nächsten Mal wenn OneDrive plötzlich entscheidet, dass ich drei Versionen des gleichen Worddokument brauche…