Immer wieder stösst man in der Fachliteratur auf Beispiele, die das Gehirn des Menschen mit Computern zu vergleichen versuchen. So findet man zahlreiche und vielfältige Nennungen von Werten über Datenaufnahme und -verarbeitung, Speicherkapazität und Energieverbrauch von unserem „Bordcomputer“. Doch können solche Vergleiche der Realität standhalten? Was kann empirisch, sprich durch Messung und Beobachtung, ermittelt werden und wo beginnt das Reich der Mutmassungen und Schätzungen?
Der Energieverbrauch des menschlichen Gehirns kann sehr genau bestimmt werden, da sein Verbrauch an Sauerstoff einerseits und damit verbunden das Verbrennen von Glukose (Traubenzucker) andererseits exakt gemessen und in ein elektrisches Leistungsäquivalent umgerechnet werden kann. Ermitteln wir dieses unter provozierter Grenzlast des Gehirns, erhalten wir eine Leistungsaufnahme zwischen 15 und 20 Watt. Vergleicht man diesen Wert nun mit den momentan schnellsten Supercomputern, welche teilweise eine Leistungsaufnahme von mehr als 10 Mega-Watt aufweisen („Summit“-Supercomputer mit 13 MW, IBM, Oak Ridge National Laboratory, USA, Betriebsaufnahme im Juni 2018), erhält man einen Faktor von einer halben Million. Das heisst, unser Gehirn benötigt rund 500‘000 mal weniger Leistung als ein solcher Hochleistungsrechner. Doch können wir nun dessen resultierende Leistung mit der des menschlichen Gehirns vergleichen?
Wie kann zum Beispiel berechnet werden, wie viele Informationen im Sinne einer Datenübertragung an einen Computer über unsere Sinne ins Gehirn gelangen? Was geschieht im Gehirn mit diesen und wo liegen die Grenzen der Speicherkapazität von Informationen?
Die Zahlenbeispiele aus Fachzeitschriften und -literatur gehen merkwürdigerweise immer mit Werten der besten Computer Hand in Hand einher oder wurden noch früher jeweils aus Vergleichen mit den komplexesten gerade vorhandenen Maschinen ihrer Zeit gezogen. In die ersten solcher Überlegungen wurden somit Dampfmaschinen und Telegraphensysteme einbezogen, während neuere, im Computerzeitalter angestrebte Gegenüberstellungen, meistens der Informatik entsprechende Datenflüsse und Speicherkapazitäten in Bits und Bytes angeben werden. So finden sich für das menschliche Gehirn chronologisch ansteigend Inputwerte von einigen Megabits bis hin zu mehreren Gigabits pro Sekunde und Speichervolumina zwischen 10 Terabytes und 5 Petabytes (=5 Millionen Gigabytes). Dass unser Gehirn eine Grenze der Informationsaufnahme und deren Verarbeitung sowie Speicherung haben muss, ist klar. Aber wie können wir diese Grenzen der Verarbeitung von Daten, ja des Denkens evaluieren und bezeichnen?
Wenn es nicht allzu hell und ruhig um uns herum ist, wir bequem liegen oder sitzen, die Raumtemperatur 20 Grad Celsius beträgt und nichts unangenehm riecht, dann fühlen wir uns in der Regel wohl und entspannt. Unser Gehirn wird durch nichts überfordert und lässt Kapazität offen, um bewusst und kognitiv genutzt zu werden. Wir können Gesprächen mit anderen Menschen folgen, aufmerksam Bücher lesen oder Ideen ausbrüten und Probleme lösen. Aber auch in diesem Fall fliesst über alle unserer Sinne ein kontinuierlicher Datenstrom in unser Gehirn. Dieser ist jedoch nicht dominant und wird völlig unbewusst abgearbeitet. Wird ein Mensch nun direkt einer starken Lichtquelle ausgesetzt, beispielsweise direkter Sonneneinstrahlung, nehmen seine Augen so viel Licht auf, dass, je länger er hinsieht, zunächst ein scheinbarer, ein reell fühlbarer Schmerz ausgelöst wird. Unser Gehirn beginnt sich also offenbar dagegen aufzulehnen und teilt uns mit, dass da zu viel Licht einströmt, als dass es nunmehr imstande ist, diese Flut vernünftig zu verarbeiten und gleichzeitig konzentriertes Arbeiten zuzulassen. Berechnen wir nun aufgrund der Sensibilität der Augen und der Lichtstärke der Sonne einen daraus resultierenden Datenstrom, erhalten wir eine Datenflut von einigen hundert Terabytes pro Sekunde, was rund 1 Million mal mehr ist, als USB 3.0 (640 MB/Sek) maximal übertragen kann. Das Gehirn schlägt sofort Alarm, rückt alles andere in den Hintergrund und drängt uns, dieser Überreizung auszuweichen.
Ähnliche Berechnungen liessen sich beispielsweise auch in Bezug auf Schall, Druck und Temperatur anstellen, wobei in jedem dieser Fälle physikalisch gemessene Vorgänge über eine Schnittstelle in Bits und Bytes umgerechnet werden müssten. Wie aber sähen diese Umrechnungsansätze aus? Und schon befinden wir uns im Reich der Annahmen und Mutmassungen! Nehmen wir beispielsweise 1 Bit pro Photon, welches einströmt. So lässt sich nun ein Datenstrom ermitteln. Nun haben aber besagte Photonen eine bestimmte Energie, die vom Auge als Farbe interpretiert wird, sofern sie innerhalb des wahrnehmbaren Spektrums liegt. Sind es nun RGB-Werte mit sechs Bytes respektive 48 Bits? Damit ist der Datenstrom schon wieder um das rund 50-fache angestiegen…
Warum und wie, wenn wir diesen Vorgang mit der Computerwelt vergleichen möchten, sagt uns unsere Nase zusammen mit dem Gehirn, dass etwas, was wir essen wollen, verdorben ist? Sie geben uns keinen Aufschluss darüber, was sich da chemisch genau abspielt. Und trotzdem werden wir erfolgreich gewarnt, weil das Gehirn fähig ist, dies blitzschnell aufgrund früherer Erfahrungen bzw. Instinkte korrekt einzuordnen. Kann ein solcher Vorgang mit einem Computer verglichen werden?
In der Speicherung von Informationen und deren Abruf offenbart uns das menschliche Gehirn den grössten Unterschied zu gängigen Computern. Gerade das vorangehende Beispiel mit der Interpretation von Gerüchen legt diesen klar dar. Während der Computer Informationen ohne jeden Kontext speichert, ausser wir geben diesen explizit mit, und sie dann ebenso wiedergibt, flechtet unser Gehirn jeden neuen Lerninhalt in ein bestehendes Netz von Erfahrungen ein. Eigentlich wird nicht die Information selbst gespeichert, sondern Unmengen von Assoziationen zu dieser verknüpft, indem elektrische Impulse über tausende von Hirnzellen und deren Verknüpfungen zueinander aufgenommen und eingeprägt werden. Zudem ist das Gehirn fähig, seine eigene Kapazität zu erweitern und falls notwendig, einfach neue Verbindungen zwischen den Neuronen zu schaffen. Eine derart funktionierende Festplatte eines Computers würde, je länger sie im Einsatz ist, stetig mehr Speicherkapazität aufweisen. Möchte man nun die Anzahl bestehender Möglichkeiten zur Bildung solcher Assoziationen im menschlichen Gehirn berechnen, stösst man sofort auf unüberwindliche mathematische Grenzen. Angenommen man könnte diese Zahl ermitteln, zeigen Regeln der Kombinatorik, dass sie so gross wäre, dass man eine stattliche Bibliothek an Büchern bräuchte um sie wiedergeben zu können – sie hätte mehrere Billionen Stellen.
Wäre unser Gehirn in seiner Funktion so einfach aufgebaut, dass wir es abschliessend erklären könnten, wären wir kognitiv gar nicht in der Lage, uns jemals entsprechend komplexe Gedanken über solche Fragen und Vergleiche zu machen.
«Denn um dem Denken eine Grenze
zu ziehen, müssen wir beide Seiten
dieser Grenze denken – wir müssen
also denken können,
was sich nicht denken lässt.»
Ludwig Wittgenstein (1889-1951)
österreichisch-britischer Philosoph
Das menschliche Gehirn hat ein Volumen von ca. 1½ Liter und beinhaltet rund 100 Milliarden Hirnzellen (Neuronen). Würde man ein Neuron auf die Grösse eines Liters Milch vergrössern, wäre das dazu gehörende Gehirn etwa so gross wie der Gantrisch (Berg in den Freiburger-Alpen).
Das Gehirn macht nur etwa 2% der Masse des menschlichen Körpers aus, verbraucht jedoch fast einen Drittel der Energie, die wir unserem Körper täglich zuführen. Eine einzelne Hirnzelle ist zur Hauptsache aus ungefähr 5 Billiarden (5‘000‘000‘000‘000‘000) Kohlen- und Wasserstoffatomen aufgebaut. Jede dieser Zellen ist über eine Art Verkabelung mit einigen 1000, im Einzelfall mit bis einigen 10‘000 weiteren Neuronen verbunden. Ein solches Kabel (Axon) verzweigt sich mehrfach und trägt an jedem Ende eine Synapse, eine Art Stecker, der jeweils an einer anderen Hirnzelle auch seine Steckdose, das so genannte Dendrit findet. Die Gesamtzahl dieser Verbindungen beträgt bis zu einer Billiarde bei einem Erwachsenen Menschen. Diese Zahl entspricht ungefähr der Anzahl aller Ameisen, die in Europa leben oder rund 100‘000 Mal der gesamten Menschheit. Würden sämtliche Verbindungen (Axone) aneinander gereiht, ergäbe dies einen Faden mit einer Länge von gut 500‘000 Kilometern. Dieser Faden könnte mehr als zwölfmal um die Erde gelegt werden, würde das gesamte schweizerische Strassennetz rund achtmal komplett abdecken oder reichte von der Erde bis zum Mond und darüber hinaus. Dendrit und Synapse sind nicht etwa fest miteinander verbunden, sondern werden beim Denkvorgang (und nur dann) über eine hauchdünne Lücke, den so genannten synaptischen Spalt sehr kurz angeschlossen und gleich wieder getrennt. Dieser Vorgang ist bis zu 500 mal pro Sekunde möglich. Das Gehirn wird täglich von rund 1‘200 Litern Blut durchströmt und dadurch mit der notwendigen Energie versorgt. Diese Menge entspricht rund 8 vollen Badewannen oder der Menge an Regen, die im Mittelland im Durchschnitt pro Quadratmeter und Jahr fällt. Um seine Leistung zu erbringen benötigt das Gehirn im Vergleich mit von uns geschaffenen Maschinen nur sehr wenig Energie, nämlich nur 15-20 Joule, was gerade einer Leistung von 15-20 Watt entspricht. Diese ist vergleichbar mit der einer Sparlampe, beträgt etwa 25 mal weniger, als unsere Home-Computer benötigen, oder 75 mal weniger als ein durchschnittlicher Staubsauger verbraucht. Im Vergleich mit dem derzeit schnellsten Supercomputer „Summit“ im Ridge National Laboratory, USA, beträgt der Faktor sogar 650‘000!